Die kombinierte Produktion von Lebensmitteln und Solarstrom auf der gleichen Fläche hat Potenzial. Seit ein paar Monaten besteht in der Schweiz eine gesetzliche Grundlage zur Erstellung von solcher Agri-Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen. Diese ist im internationalen Vergleich aber in der Schweiz streng formuliert.

Photovoltaik-Anlagen im Freiland waren bis vor zwei Jahren in der Schweiz ein Tabu. Mit den globalen Turbulenzen der beiden letzten Jahre hat sich das Blatt gewendet. Die Angst vor einem künftigen Strommangel brachte gesetzliche Anpassungen in Gang, die nun sogar Solaranlagen an Hängen im Alpenraum ermöglichen. Neu gibt es auch einen gesetzlichen Rahmen für die Agri-Photovoltaik (Agri-PV), der Projekte auf Fruchtfolgeflächen ermöglicht.

Agri-PV-Anlage in einer Apfelplantage in Deutschland. (Bildautor: Fraunhofer ISE)
Agri-PV-Anlage in einer Apfelplantage in Deutschland. (Bildautor: Fraunhofer ISE)

Um was geht es bei der Agri-PV? Das Ganze steht für die kombinierte Produktion von Lebensmittel und Solarstrom auf der gleichen Fläche. Weizen, Gemüse oder Beeren wachsen dabei unter oder zwischen den Solarmodulen. Die angewendeten Technologien und Konzepte stehen noch am Anfang und befinden sich im Findungsstadium. Doch die errechneten Potenziale sind bemerkenswert hoch: Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg (D) hat für Deutschland ein technisches Agri-PV-Potenzial von 1700 GW errechnet, was deutlich über dem von Anlagen auf Gebäuden liegt. Dafür wären zudem nur 3.8 Prozent der Agrarflächen nötig. Als Vergleich: Im Jahr 2022 wurden in Deutschland auf fast 8 Prozent der Ackerflächen Mais für die energetische Verwertung in der Biogasanlage angebaut. Gemäss ISE produziert Agri-PV aber 32-Mal mehr Strom pro Hektare als aus verstromtem Energiemais in der Biogasanlage von der gleichen Fläche. Zudem kann die Agri-PV in vielen Regionen der Welt aufkommende Landnutzungs-Konflikte lindern, wozu auch Anliegen des Umweltschutzes in Sachen Biodiversität gehören. Und nicht zuletzt bieten sich agronomische Vorteile, welche insbesondere für trockene Gebiete mit Wasserknappheit interessant sind. In Anbetracht solcher Fakten ist es keine Überraschung, dass das Interesse an Agri-PV stark steigt. Bereits 2021 war weltweit Agri-PV mit 14 GW Leistung installiert, immerhin mehr als drei Mal so viel wie die aktuelle «normale» Schweizer Solarstromproduktion. Die meisten Anlagen stehen in China sowie in Japan, wo über 3500 Agri-PV-Anlagen in Betrieb sind, erprobt mit 180 verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturen.

Agri-PV-Anlage über Himbeeren in Deutschland. (Bildautor: BayWa r.e)
Salate unter Agri-PV in Italien.

Landwirtschaftliche Produktion kommt vor Strom

Kritische Stimmen sehen in der Agri-PV allerdings nur eine neue Möglichkeit, um grosse Freilandanlagen unter einem grünen Deckmäntelchen in der Landschaft zu installieren. Doch obwohl international erst wenige Standards oder gesetzliche Regelungen bei der Agri-PV bestehen, ist man sich bei der Definition weltweit einig: Die landwirtschaftliche Produktion muss in diesem System die erste Tätigkeit darstellen, die Solarstromproduktion soll klar an zweiter Stelle stehen. Vorreiter ist hier Deutschland, welche mit der Norm DIN SPEC 91434 erstmals Anforderungen an diese landwirtschaftliche Hauptnutzung definierte. Dazu gehört die Einhaltung eines Mindestwertes beim Naturalertrag der landwirtschaftlichen Kultur von 66 Prozent im Vergleich mit einer Referenzparzelle ohne Agri-PV. Die Landwirtschaftliche Nutzung des Bodens muss zudem gewährleistet bleiben, was bei reinen Freilandanlagen nicht unbedingt gegeben ist. Der Landverlust aufgrund der PV-Installation darf wenn unter den Paneln angebaut maximal 10 Prozent respektive 15 Prozent beim Anbau zwischen den Modulreihen betragen. Seit diesem Jahr sind solche Agri-PV-Anlagen in Deutschland auch zum Bezug von Subventionen aus EU-Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) berechtigt.

Beachtliches theoretisches Potenzial

In Ried b. Kerzers wachsen schon seit bald zehn Jahren Radieschen im Schatten der Photovoltaik.

Der Gemüsegärtner Frederic Barth aus Ried bei Kerzers war in der Schweiz ein eigentlicher Agri-PV-Pionier. Schon vor bald zehn Jahren – als noch kein Mensch ernsthaft über Agri-PV diskutierte –, montierte er in seinem Gewächshaus anstatt Glas PV-Module über den Radieschen. Das System funktioniert bis heute. In den letzten beiden Jahren hat sich die Schweiz bei der Agri-PV nun auch für Fruchtfolgeflächen oder Grünland geöffnet. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) führte eine Machbarkeitsstudie dazu durch. Unter Anwendungen von mehreren Ausschlusskriterien – wie beispielweise die Entfernung zum Stromnetz – kam diese auf ein jährliches theoretisches Potenzial von 130 TWh Strom aus Agri-PV, womit sich der für das Jahr 2050 berechnete Schweizer Stromverbrauch von 80 TWh locker abdecken liesse. Würden in der Praxis nur ein Zehntel des Potentials genutzt, wären dafür mit offenen Ackerflächen 1,1 Prozent oder mit Dauerkulturen 0.9 Prozent der Landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) nötig, was durchaus als machbar erscheint. Studienautorin Mareike Jäger weist allerdings darauf hin, dass es sich um theoretische Werte handle. Sie ist aber überzeugt, dass es sich lohnt, der Technologie auch in der Schweiz eine Chance zu geben, um einen Teil des sich bietenden Potenzials zu nutzen.

Strenge Regeln in der Schweiz

Seit letztem Jahr gilt die revidierte Raumplanungsverordnung (RPV), die das Bauen von Solaranlagen ausserhalb der Bauzonen neu definiert. Dort im Artikel 32c ist auch die Agri-PV geregelt. Dabei fallen vor allem zwei zu erfüllende Bedingungen auf, damit eine Anlage bewilligungsfähig wird: Agri-PV darf nur in wenig empfindlichen Gebieten stehen – nahe an Bauzonen oder bestehender Infrastruktur beispielsweise -, und muss dazu Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken. Konkreter wird der erläuternde Bericht zur RPV-Revision, wonach Agri-PV-Anlagen auf Fruchtfolgeflächen nur dann genehmigungsfähig sind, wenn dort höhere Naturalerträge im Pflanzenbau entstehen, im Vergleich zum «normalen» Anbau. Im Vergleich zum Ausland ist die Schweiz somit deutlich strenger, wo Mindererträge unter anderem als Folge der Verschattung toleriert werden. Damit wolle man verhindern, dass der Selbstversorgungsgrad mit einheimischen Lebensmitteln sinke, erklärt Johnny Fleury vom Bundesamt für Landwirtschaft dazu auf Anfrage. Internationale Erfahrungen zeigen allerdings, dass Agri-PV ohne Ertragsverluste bei den meisten Kulturen kaum möglich ist. Noch ist unklar, wie sich das in der Schweizer Praxis auswirken wird und wie die Bewilligungsbehörden «empfindliche Gebiete» definieren werden, beispielsweise beim in der Schweiz häufigen Dauergrünland, das nicht zur Fruchtfolgefläche zählt. Auch bei diesem müsse gemäss Fleury ein Vorteil für die Landwirtschaft nachgewiesen werden, wie es die RPV vorschreibe.

Direktzahlungen und Förderungen

Trotz den strengen gesetzlichen Auflagen bieten Agri-PV-Anlagen für Schweizer Landwirtschaftsbetriebe eine Chance, mehr Einkommen zu erzielen. Zum einen ist absehbar, dass Agri-PV mit der Revision der Landwirtschaftlichen Begriffsverordnung künftig weiterhin als Landwirtschaftliche Nutzfläche gilt und somit direktzahlungsberechtigt bleiben wird. Zudem profitieren die Anlagen von den gleichen Einmalvergütungen wie klassische PV-Anlagen. Besonders hoch sind diese zurzeit für Anlagen ohne Eigenverbrauch mit 450 Franken pro Kilowatt bei Anlagen mit weniger als 150 kW Leistung, bei grösseren Anlagen wird die Einmalvergütung über Auktionen vergeben. Dazu kommen beachtliche Erträge aus dem eigentlichen Stromverkauf, welcher pro Hektare installierte Agri-PV um ein Vielfaches mehr einschenken wird als beispielsweise mit dem Verkauf von Weizen der gleichen Fläche. Allerdings entstehen dem landwirtschaftlichen Betrieb auch beachtliche Investitionskosten, die er kaum allein stemmen kann: Die Erstellung von einer Hektare Agri-PV kostet je nach Konstruktion und Technologie zwischen 800‘000 und 1.2 Millionen Franken pro Hektare. Johnny Fleury vom BLW befürchtet, dass sich deshalb zahlungskräftige Investoren Landflächen auf den rund 50 Prozent Pachtlandflächen in der Schweiz sichern und die Lebensmittelproduktion damit zweitrangig wird, was sich zudem in höheren Pacht- und Landpreisen auswirken könnte. Die strengen rechtlichen Anforderungen sollen dies wohl verhindern, was durchaus gelingen könnte. Streng ausgelegt, würde die revidierte RPV in der Schweiz kaum zum einem Agri-PV-Boom führen.

Es gibt noch viele Unbekannte

Trotz vermeintlich hohen gesetzlichen Hürden gibt es in der Schweiz viel Bewegung in der Causa Agri-PV: Kaum eine kantonale Behörde hat sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Die noch junge Solarenergie-Disziplin befindet sich noch am Anfang seiner Entwicklung und es gibt noch viele offene Fragen, die in dieser ersten Phase geklärt werden müssen: Welche Solarzellen sind ideal? Welche Konstruktion eignet sich für welche Kulturen? Wie hoch fallen die Erträge unter den Modulen aus? Welche Referenzwerte werden für die Erträge herangezogen? Welche agronomischen Nachteile oder Vorteile entstehen? Und nicht zuletzt eben: Wie streng interpretieren die Bewilligungsbehörden die RPV? Bei Letzterem zeichnen sich bereits kantonale Unterschiede ab. In technologie-offeneren Kantonen wie beispielsweise dem Kanton Thurgau gibt es bereits eine Richtlinie zur Planung von Agri-PV. Projekte vor allem über Dauerkulturen wie Beeren und Obst sind dort in Planung. In anderen Kantonen scheitern Agri-PV-Projekte bereits in der Projektierungsphase. Einschränkend wirken oft die eher kleinen Parzellen oder die zu weite Entfernung von Leitungen, die den Solarstrom weitertransportieren könnten.

Vor allem auf Beeren und Obst

Agri-PV-Anlage in der Versuchsanlage in Walperswil (Bild: Beerenland AG)

Die RPV schreibt wie bereits erwähnt vor, dass für die Landwirtschaft mit Agri-PV Vorteile entstehen müssen. Welche als solche gelten, ist noch offen. In einem Anbauversuch der ZHAW mit Nüsslisalat in einer Agri-PV-Anlage entwickelte sich dieser beispielsweise ertragsmässig und qualitativ gut oder sogar besser als im normalen Anbau. Auch am internationalen Agrivoltaics-Kongress von April in Südkorea wurden aus einigen Ländern Agri-PV-Projekte auf Ackerland präsentiert, welche höhere Naturalerträge aufwiesen. Doch selbst wenn es zu absehbaren Ertragsverlusten als Folge der Verschattung kommt, kann eine Agri-PV in der Gesamtbetrachtung Vorteile bringen. Beispielsweise auf Beeren- und Obstanlagen, wo die PV-Module bestehende Infrastruktur wie Hagelschutznetze oder Regendächer ersetzen können und sich auch das bestehende Landschaftsbild durch die Module nicht gross ändern würde. Zudem ergeben sich in diesen Dauerkulturen agronomische Vorteile, beispielsweise weil die Früchte vor Regen und Sonne geschützt sind oder die geringeren Blattnasszeiten zu weniger Pilzbefall führen. Der Beerenbetrieb Beerenland AG in Walperswil installierte im letzten Jahr auf 0,2 Hektaren Beeren Agri-PV. Zusammen mit der Forschungsanstalt Agroscope wird dort untersucht, wie die Doppelnutzung funktioniert und wie sich der Ertrag und die Qualität der Beeren entwickelt. In Gelflingen LU bei bioschmid gmbh wird in diesem Jahr eine andere Pilotanlage erstellt, wo verschiedene Modultypen getestet werden. Die Agri-PV nimmt langsam, aber sicher auch in der Schweiz an Fahrt auf.

Mögliche Systeme von Agri-Photovoltaik:

Vertikal aufgestellte bifaziale Module, Anbau dazwischen in den Reihen, (beispielweise Weiden aber auch Gemüse).

Ein- und Zweiachsen-Tracker (den Sonnenstrahlen folgend), Anbau unter oder zwischen den Modulen.

Hoch aufgeständerte PV-Module, Anbau darunter (beispielsweise Getreide).

Solarmodule mit Spannseilen, Anbau darunter (beispielsweise Getreide).

Mobile Systeme, die auf- und abgebaut werden können.

Semitransparente PV-Module mit breiten Zwischenräumen mit Schutzfunktion (Zum Beispiel über Beeren oder Obst).

PV-Module mit Regenauffang-Vorrichtung (Für Gebiete mit Wassermangel).
Agronomische Vorteile von Agri-Photovoltaik:

Schutz der Kulturen vor Hitze und Sonnenstrahlen.

Pflanzen verdunsten weniger, und kommen mit weniger Wasser aus.

Schutz des Bodens vor Austrocknung.

Schutz vor Regen und aufkommender Feuchtigkeit in der Kultur, weshalb der Pilzbefall abnimmt.

Kontrollierte Bewässerung der Kulturen unter den Modulen möglich.

Schutz vor Frostschäden, weil die Module das Entweichen der wärmeren Luft verhindern.

Wärmeres Klima unter den Modulen führt zu einem Verfrühungseffekt.

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