Bei Biobauer Heinz Schmid in Aesch LU wachsen seit letztem Jahr Himbeeren unter Solarmodulen. Mit der Pionieranlage will er der Agri-Photovoltaik in der Schweiz zum Durchbruch verhelfen.
Die Idee von Agri-Photovoltaik (Agri-PV) ist bestechend: Während unter oder zwischen Solarmodulen Kartoffeln, Weizen oder Beeren wachsen, kann die Bäuerin oder der Bauer vom gleichen Ort auch noch Solarstrom «ernten». Eine klassische Win-Win-Situation eigentlich. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) schätzte das technische Potenzial von Agri-PV in der Schweiz in einer Studie auf 132 tWh Solarstrom pro Jahr. Das ist beachtlich: denn der aktuelle jährliche Stromverbrauch in der Schweiz beträgt rund 60 tWh. Doch in der Praxis stockt die Technologie, obwohl sich die rechtlichen Rahmenbedingungen eigentlich zugunsten von Agri-PV-Anlagen entwickelt haben. Das Interesse sei zwar vor allem bei Beeren- und Obstbetrieben vorhanden, doch steckten viele Anlagen im Bewilligungsverfahren fest, erklärt Thomas Keel von der Fachgruppe Agri-PV beim Branchenverband Swissolar auf Anfrage. Weil es in der Schweiz kaum Erfahrungen gibt mit Agri-PV-Anlagen, fehlen den Behörden die Entscheidungsgrundlagen. Zudem sind die Anlagen teurer als übliche Solaranlagen auf einem grossen Scheunendach. Eine zusätzliche finanzielle Förderung für Agri-PV für die Abgeltung der Mehrkosten besteht zurzeit aber nicht. Sprossen- und Beerenproduzent Heinz Schmid aus Gelflingen liess sich von diesen Widrigkeiten nicht abschrecken. Mit dem bisher schweizweit grössten Agri-PV-Projekt im Luzerner Seetal schlägt er gerade einen wichtigen Pflock ein, der die fehlenden Erfahrungswerte liefern soll. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Die Stahlträger sind je nach Anlagetyp bis zu 3.5 Meter tief in den Boden gerammt.
Solarmodule anstatt Witterungsschutz
Auf dem Betrieb «bioschmid gmbh» produzieren Monika und Heinz Schmid vor allem Sprossen und Beeren in Bioqualität. Auf seinen Dächern laufen bereits seit vielen Jahren Solaranlagen. Er nutzte damals bei deren Installationen gleich die Gelegenheit und gründete die eigene Firma «Oberfeld Energie gmbh», als Dienstleister für Selbstbau-Anlagen in der Landwirtschaft und Betreiber von Solaranlagen. So kommt es, dass der Biolandwirt sich schon seit Jahren mit Agri-PV beschäftigt, quasi der Symbiose von Photovoltaik und Landwirtschaft. Er testete das Ganze im kleinen Rahmen über Beeren aus. Diese eignen sich deshalb besonders gut für Agri-PV, weil Profi-Anlagen sowieso schon meistens mit einem Witterungsschutz auf einer Holz-, Beton- oder Stahlkonstruktion ausgestattet sind. Hier drängt es sich auf, diese durch Solarmodule zu ersetzen. Das hört sich einfach an. Doch wie sieht es in der Praxis wirklich aus? Wie entwickeln sich die Beeren-Erträge? Erhalten die Früchte unter den Modulen genug Licht für die Photosynthese? Wie sieht es dort mit dem Schädlingsbefall und der Pflanzengesundheit aus? Und ja: Wie viel Strom erzeugt die Anlage? Fragen über Fragen, auf die Heinz Schmid mit dem Bau seiner Pilot-Anlage auf 7200 Quadratmetern mit drei unterschiedlichen System-Typen und einer installierten Leistung von 500 Kilowatt (kWp) nun Antworten finden will.
Rasche Bewilligung
An einer Beerentagung traf Heinz Schmid vor drei Jahren auf Forscher von Agroscope, die sich intensiv mit dem Thema Agri-PV beschäftigten. Am Standort in Conthey läuft bereits ein mehrjähriger Versuch mit Beeren und PV-Modulen. Auch deshalb gleiste Heinz Schmid das Projekt am Standort in Aesch LU zusammen mit André Ançay von der Forschungsanstalt auf, weil er über entsprechendes Know-how verfügte. Das Baugesuch blieb ohne Einsprachen. «Bedenken von einem Umweltverband konnte ich mit einem Gespräch bereits im Vorfeld ausräumen», sagt der Biobauer. Das Projekt mit seinem innovativen Charakter scheint für die Behörden genug spannend gewesen zu sein. Die Baubewilligung erhielt er von diesen innerhalb von sechs Monaten. Die Eingabe der Vorabklärung erfolgte noch kurz vor der Anpassung der Raumplanungsverordnung im Juli 2022. Diese erlaubt den Bau von Solaranlagen seither auch ausserhalb von Bauzonen, in an Bauzonen angrenzenden Gebieten, wenn sie der landwirtschaftlichen Produktion zusätzlichen Nutzen bringen. Der erste Punkt erfüllt die Anlage in Aesch. Wie es mit dem Nutzen aussieht, werden die nächsten Jahre zeigen.
Netzanschluss auf eigene Kosten
Als Förderung erhielt Heinz Schmid die Einmalvergütung, für die er allerdings bei seiner Anlagengrösse am offiziellen Auktionsverfahren des Bundes mitmachen musste. Die teure Agri-PV konkurriert hier mit viel günstiger zu erstellenden Anlagen auf Industriedächern. Zwar erhielt er den Zuschlag für seine Agri-PV, doch deckt dieses Fördergeld nur einen Bruchteil der gesamten Investitionskosten ab. Ein weiterer Nachteil des Auktionsverfahrens: Der Solarstrom darf nicht als Eigenverbrauch vor Ort genutzt werden. Das drückt zusätzlich auf die Rentabilität der Anlage. Für die Finanzierung der Anlage musste er weitere Geldquellen erschliessen, beispielsweise beim Bundesamt für Energie, dem Kanton Luzern und bei Stiftungen. Zudem kommen ihm die Technologiepartner Insolight und Megasol finanziell entgegen. Der Erlös aus dem Stromverkauf verwendet er für die Amortisierung der Anlage. Den Solarstrom liefert er für einen aktuell tiefen Marktpreis an das örtliche Stromversorgungsunternehmen CKW. Der Bau der dafür zusätzlich nötigen 90 Meter langen Stromleitung zur nächsten Trafostation kostete Heinz Schmid rund 50‘000 Franken. Dass er als Betreiber der Anlage diese Kosten für den Netzanschluss selbst bezahlen muss, sieht Heinz Schmid als grosses Hindernis für Investitionen in Agri-PV-Anlagen, die weniger gut ans Stromnetz angeschlossen sind.
Eigens entwickeltes System
Bereits im letzten Jahr gingen die ersten beiden Anlagen-Typen ans Netz. Die Himbeeren darunter hätten sich normal entwickelt, sagt Heinz Schmid. Endgültige Aussagen könnten aber erst ab diesem Jahr gemacht werden, wenn die Anlage komplett ist. Den ersten Systemtyp «AgroVerti» hat Heinz Schmid selbst entwickelt. Dabei sind die bifazialen Solar-Paneelen über der Beerenanlage vertikal an Drahtseilen aufgehängt. Unter den Modulen ist eine Folie angebracht, welche die Himbeerkulturen wie in üblichen Profi-Anlagen vor Regen schützt. Die vertikale Ausrichtung soll vor allem auch die Morgen- und Abendsonne nutzen, die Module nehmen beidseitig Licht auf. «Diese Lösung ist voraussichtlich die kostengünstigste der drei angewendeten Verfahren», erklärt Heinz Schmid.
Dynamische Beschattung
Im zweiten System kommt Technologie des Schweizer Start-Ups Insolight zum Einsatz mit einer dynamischen Beschattung. Die Stahlträger stecken 1.80 Meter tief in der Erde und tragen die speziellen Solarmodule in einer Höhe von 3.5 Metern. Sie sind semitransparent – also zur Hälfte – mit Solarzellen ausgestattet, damit genug Licht durchkommt. Himbeeren sind heikel: Erhalten sie zu viel Wärme oder Licht, wirkt sich das negativ auf die Entwicklung der Pflanze aus. Zu wenig darf es aber auch nicht sein. «Deshalb ist hier die dynamische Steuerung eine ideale Lösung», erklärt Tobias Beeler von Insolight. Mit dem gezielten Öffnen oder Schliessen des Beschattungsschirms unter den Modulen würden optimale Wachstumsbedingungen geschaffen. Die Programmierung der Steuerung ist deshalb zentral. Haben die Beeren den Lichtsättigungspunkt erreicht, findet beispielsweise kaum noch Photosynthese statt. «Dann schliessen wir den Energieschirm, das Licht reflektiert auf die Rückseite der bifazialen Solarzellen und produziert zusätzlichen Strom.» Zudem sind die Gläser im Insolight-System aus diffusem Glas, wodurch sich das Licht besser bei der ganzen Pflanze verteilt. Diese Technologie ist von modernen Gewächshäusern bekannt. Teilweise erinnert das System in der Ausführung deshalb sowieso eher an ein solches als an eine klassische Beerenanlage.
Angepasstes Trackersystem
In den letzten Wochen wurden auch noch die T-Stahlträger des dritten Systems in den Boden gerammt. Beton ist auch hier tabu, weil es sich um wertvolle Fruchtfolgeflächen handelt. Die von der Schweizer Solarfirma Megasol in Zusammenarbeit mit Heinz Schmid entwickelte Lösung «Agrotrack» beruht auf einem gängigen Trackersystem, wie es weltweit bereits auf grossen Flächen eingesetzt wird. Die Module bewegen sich dabei ebenfalls dynamisch den Sonnenstrahlen nach, um optimale Stromerträge zu erzielen. Da es bei der Agri-PV aber vor allem um die Beerenerträge geht, muss die Steuerung entsprechen angepasst werden. Denn wie beim System von Insolight, geht es primär darum, optimale Wachstumsbedingungen für die Himbeeren zu schaffen. «Wir wollen herausfinden, wie gut sich die Verschattung mit diesem Systemtyp regulieren lässt», erklärt Heinz Schmid.
Tests von Optimizern und Simulationssoftware
Das ganze Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Agroscope in Conthey übernimmt dabei den agronomischen Teil. Die Forschungsgruppe um André Ançay untersucht unter anderem, wie sich die Himbeeren in den drei verschiedenen Agri-PV-Systemen entwickeln. Wie sehen die Erträge aus? Gibt es Geschmacksunterschiede? Oder: Wie entwickelt sich das Gewicht der Früchte als Folge der Schattierung? Die Berner Fachhochschule (BFH) betreut das Projekt aus der Sicht Solarstromtechnologie.
Primär geht es um den Vergleich der Solarstrom-Erträge in den drei verschiedenen Systemen. «Wir messen jeweils die Einstrahlung der Sonne und lesen die Produktion der einzelnen Wechselrichter aus», erklärt Projektleiter Matthias Hügi. Dabei wird die Gesamtproduktion wie auch die Leistung der einzelnen Strings bestimmt. Um herauszufinden, was auf Modulebene passiert, haben die Forscher zudem mehrere Module mit Optimizern ausgestattet. Solche Leistungsoptimierer werden unter anderem eingesetzt, um Ertragsverluste am ganzen String als Folge einer Teilverschattung zu verhindern. «Wir können so beispielsweise untersuchen, wie gross der sogenannte Randeffekt von Modulen am Anfang und Ende der Modulreihe tatsächlich ist», führt Matthias Hügi aus. Schlussendlich gehe es aber auch darum, grundsätzlich die Wirksamkeit von Optimizern bei Agri-PV zu untersuchen im Vergleich mit herkömmlichen Wechselrichterkonzepten. Ein weiterer Forschungsbereich untersucht mögliche Einflüsse der Lebensmittelproduktion auf die Module, wie beispielsweise Verschmutzungen. Und zu guter Letzt werden zwei Simulationstools getestet und mit realen Daten verglichen. «Das soll aufzeigen, wie gut sich aktuelle Simulationstools eignen, die für die Planung von Agri-PV-Anlagen eingesetzt werden können.»
Produktion von Beeren hat Priorität
Die ersten Jungpflanzen respektive Ruten der Bio-Himbeeren pflanzte Heinz Schmid mit seinen Mitarbeitenden im April direkt in den Boden. Dieser enthält unter anderem viel nährstoffreichen Kompost und wird im Winter wenn möglich mit einer Gründüngung bedeckt, der die Fruchtbarkeit des Bodens aufrechterhält. Er sieht sich zwar als Vorreiter für die Einführung der Agri-PV in der Schweizer Landwirtschaft. «Die Produktion von Himbeeren in hoher Qualität muss aber immer im Vordergrund stehen», sagt er. Für ihn war es deshalb wichtig, dass die Projektleitung bei der bioschmid gmbh blieb: «Es besteht die Gefahr, dass externe Investoren bei der Agri-PV den Fokus zu stark auf den Verkauf des Stroms richten.»
Heinz Schmid ist überzeugt, dass Agri-PV aus ökologischer Sicht Sinn macht: «Die knappe Fläche wird optimal für die Nahrungsmittel- und Energieproduktion genutzt, ohne dass der Boden Schaden nimmt.» Denn sollte sich das Ganze in ein paar Jahren als Blindgänger entpuppen, kann die Anlage rückgebaut und die Fruchtfolgefläche in ihren ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden.